Musterung
Scherz beiseite, ich stand vor der Entscheidung zum Feind überzulaufen, mich also entweder in den Kadavergehorsam der Kaserne einzureihen, die einen Staat verteidigten wollten den ich nur ungern existieren sah, oder stattdessen, wie man damals so schön sagte,
„alten Leuten den Arsch abzuwischen“, ein Job der leider nie von denen gemacht wird denen ich es herzlichst gönnen würde.
Dazu kam noch, dass ich ja sogar als Zivi irgendwelche unfreiwilligen Frondienste für einen Staat verrichten würde, der mir seinerseits nicht mal die eigene Beerdigung bezahlt hätte, weshalb ich immer noch schlecht verstehen kann warum wir dem irgendwas schuldig sein sollten. Ich holte mir also von vielen Leuten Tips ein, wie ich am besten verweigern sollte oder ausgemustert würde, und machte mir dann meinen persönlichen Schlachtplan zurecht.
Ich wollte da als Psycho- und Drogenwrack scheitern, und am Tag vor der Musterung gab ich mir alle Mühe, in meine Rolle reinzuwachsen. Ich zog trinkend mit meinen Freundinnen und Freunden von der lokalen Punkszene rum, und als die sich abends desto später immer mehr verabschiedeten, blieb ich mit einer Freundin noch bei einem gutem Bekannten hängen, so eine Art Alt-68er, der mein Vorhaben tatkräftig unterstützte. Bier gabs genug, und irgendeiner hatte immer eine Tüte an. Meine weibliche Begleitung verabschiedete sich dann irgendwann, die restlichen Bewohner der WG auch, und mitten in der Nacht vor meiner schicksalsentscheidenden Musterung saß ich da alleine am Tisch, wach vom Koks was leider dessen einzige Wirkung auf mich ist, bekifft und besowwen, und arbeitete mich unfreiwillig immer mehr in meine Rolle als Psycho ein;
Sondervorstellung Kreiswehrersatzamt.
Nach einem ausgelassenem Frühstück (im wörtlichem Wortsinn) wankte ich dann frühmorgens Richtung Musterungsbehörde, um mich dortens unter lauter männlichen langweiligen Normalos in meinem Alter einzufinden, die mir allein durch ihre Anwesenheit noch mal drastisch und brutal klarmachten, warum ich die nächsten Jahre nicht in deren Gesellschaft verbringen wollte.
Ich befürchtete einige der damals kursierenden Fangfragen, so Marke „was würde ich machen wenn ich nur durch Schusswaffengebrauch verhindern könnte, dass ein Einbrecher meine Mutter erschiesst“ und ähnlichem irrealen vollkommen hypothetischem Scheiss, dabei hatte ich ja schon Probleme genug, meine ganz normalen alltäglichen Mordgelüste im Zaum zu halten.
Erst mal die körperlichen Prozeduren.
Ich machte den Urinprobenbecher übervoll, piekste mich heimlich in den Finger um einen Tropfen Blut reinzugeben der Verdacht auf Nierenentzündung bewirken sollte, und harrte weiter übermüdet und angeschlagen der Dinge. Mein Zustand schwankte mittlerweile zwischen ‚berauscht’ und ‚total verkatert runterkommend’, wer den kennt weiss jetzt wovon ich rede. Ich fühlte mich irgendwie müde und generell seltsam metallisch. Und ich roch unangenehm.
Irgendwann stand ich dann vor so einer Art uniformiertem Komitee aus bürokratischem Soldaten, die mir von einer Richterbalustrade herunter verkündeten, ich wäre T2, also durchaus tauglich.
So’n Scheiss, das war man meines Wissens nach noch nicht mal wenn man Plomben hatte, und die hatte ich. Die wollten mir ganz klar einen reinwürgen, weil denen meine Optik nicht gefiel.
Ich bin zwischendurch auf dem Stuhl des Angeklagten kurz eingenickt, und das haben die natürlich auch mitgekriegt. Ich sah wirklich nicht sehr gesund aus, und hatte mich imerhin fast eine Woche nicht mehr gewaschen; Ich konnte mich riechen, und ich wette alle anderen auch. Auf dem Flur war mir noch so ein Kaiser-Wilhelm-schnurrbärtiger Soldat mit Akten unter dem Arm entgegengekommen und hatte mich freundlich gegrüsst, als sozusagen verkörperte Personifizierung meines Gegenteils.
Man glaubte mir also nicht, wie ich später dann schriftlich erfuhr. Also „Nachmusterung beim Psychologen“. Ein Auftritt von dem ich heimlich immer schon geträumt hatte.
Mittlerweile war ich dank der 1. Musterung ja in Übung; ich kiffte mir morgens ordentlich die Birne zu und nahm noch einen kleinen Jägermeister zu mir, und fuhr dann mit dem Fahrstuhl rauf in die Praxis. Das Leben war nur ein schlechter Film, und ich spielte die Hauptrolle. Ich wollte gut sein, aber ich gab mir anscheinend mehr Mühe als nötig war.
Psychologen hab ich damals gehasst; ich fand jemanden weitaus verdächtiger, der unbedingt rauskriegen wollte was andere in ihrem Oberstübchen beschäftigte, als die von ihnen untersuchten Subjekte, die in meinen Augen meist nur eine meist völlig entschuldbare Macke hatten, von denen der ihr Psychiater mit Sicherheit mehr auf seinem Konto hatte. Also musste ich testen wie weit man die verarschen konnte, obwohl die alle uns doch angeblich so durchschauten.
Als erstes kam ich in so eine Art Astronautenstuhl, mir wurde irgendein Geflecht mit Kabeln auf den Kopf geschnallt, und ich kippte in meinem Astronautenstuhl bedröhnt nach hinten.
Fand ich interessant. Ich hörte den vom Kreiswehrersatzamt ausgesuchten Psychiater im Nebenzimmer Wortfetzen brabbeln wie: „ausgesprochen suizidgefährdete Persönlichkeit“ und „drogensüchtig seit mehreren Jahren“, und musste in mich reingrinsen, während ich mit dem Kopf nach unten und Kabeln daran meine innerliche Befindlichkeit auslotete. Die Augen hatte ich zu.
So einfach war das? Und vor den Dilletanten soll man Angst haben? Komm ich da mit meiner Küchenpsychologie und erzähl dem was er hören will, und schwupp, bin ich ein Problemfall.
Was machte der mit all den Leuten die tatsächlich ernste Probleme hatten? Diese diagnostizieren, wahrscheinlich. Und dann „Auf Wiedersehen“.
Er erzählte mir dann noch, so wie ich aussähe wäre ich eine „Karikatur meiner Selbst“, und das tat damals zwar weh, ist aber im nachhinein eine zutreffende Selbstbeschreibung, und ich hatte wenigstens erreicht was ich wollte. Mittlerweile komm ich damit klar; er war ja selber eine Karikatur seiner Selbst, wahrscheinlich so wie wir alle das sind, wie ich altersmilde im Nachhinein sagen würde.
Für Psychologen möchte ich trotzdem lieber eine Ausnahmeregelung haben.
Jedenfalls ist mir die Gesellschaft von gedrillten Vollidioten die sich von irgendeinem uniformiertem Spacko zusammenscheissen lassen, erspart geblieben, und das ist auch gut so, wie Wowie gesagt hätte.
„Ausgemustert“, welche Ehre. Ich war stolz wie ein Deserteur.
Ich musste nicht mal Zivildienst machen, die waren sogar so realistisch mich auch als dafür für ungeeignet einzustufen. Bei aller von mir unterstellten Dummheit glühte in diesem Kollektiv, dem bedrohlich auf Nachschub schielenden Kasernenhaufen, also immer noch irgendwo ein Fünkchen Verstand.